Arglistige Täuschung: Der Thor-Steinar-Fall

Der Mieter ist verpflichtet, den Vermieter vor Abschluss eines Gewerberaummietvertrags über außergewöhnliche Umstände aufzuklären – hier: der angestrebte Verkauf von Artikeln der Marke „Thor Steinar“ -, mit denen der Vermieter nicht rechnen kann und die offensichtlich für ihn von erheblicher Bedeutung sind.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 11. August 2010, Az.: XII ZR 123/09; Kammergericht, Urteil vom 28.05.2009, Az.: 8 U 223/08; Landgericht Berlin, Urteil vom 14.10.2008, Az.: 29 O 143/08

Die Parteien hatten einen Gewerbemietvertrag geschlossen. Der Mieter hat das Ladengeschäft genutzt, um nahezu ausschließlich Textilien, Schuhe und Accessoires der Marke „Thor Steinar“ zum Verkauf anzubieten. Diese Marke wird in den öffentlichen Medien und vom Brandenburgischen Verfassungsschutz mit einer rechtsextremistischen Gesinnung in Verbindung gebracht. Seit der Eröffnung des Ladens kam es mehrfach zu Demonstrationen und zu Farbbeutelanschlägen vor dem Geschäft. Der Vermieter erklärte daraufhin die Anfechtung des Mietvertrags, hilfsweise die fristlose Kündigung mit der Begründung, dass der Mieter ihn über den Mietzweck getäuscht habe.

Der Bundesgerichtshof hat in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen eine wirksame Anfechtung des Mietvertrages wegen arglistiger Täuschung angenommen, die im Verschweigen der späteren Verwendung der Mietsache als Verkaufsgeschäft für Thor-Steinar-Artikel liegt.

Grundsätzlich besteht zwar keine allgemeine Pflicht zur Aufklärung des Vertragspartners über den späteren Verwendungszweck, allerdings besteht nach der Rechtsprechung eine Pflicht zur Aufklärung, wenn der Vertragspartner wegen ihrer besonderen Bedeutung eine Mitteilung erwarten durfte. Das ist insbesondere bei Tatsachen der Fall, die den Vertragszweck vereiteln oder erheblich gefährden können. Bei Dauerschuldverhältnissen ist zudem die Annahme von Aufklärungspflichten eher möglich als bei Einzelgeschäften (wie etwa bei Kaufverträgen).

Da an verschiedenen öffentlichen Orten das Tragen von Thor-Steinar-Artikeln verboten ist, und der Vermieter ohne einen entsprechenden Hinweis auch die Absicht des Verkaufs nicht erkennen konnte, bestand bereits eine vorvertragliche Aufklärungspflicht als Nebenpflicht, die der Mieter verletzt hatte.

Dem Mieter war bei Abschluss des Mietvertrags auch die Brisanz der zukünftig zu verkaufenden Artikeln bekannt. Daher musste es sich ihm auch aufdrängen, dass die beabsichtigte Nutzung für den Vermieter von erheblicher Bedeutung für den Abschluss des Mietvertrags war. Der Mieter hat in Kauf genommen, dass der Vermieter den Mietvertrag nicht abgeschlossen hätte, wenn ihm vor dem Vertragsschluss die Nutzungsabsicht des Mieters bekannt gewesen wäre.

Der Mieter hat den Vermieter somit arglistig getäuscht, der Mietvertrag ist gemäß § 123 BGB anfechtbar gewesen. Nach erfolgter Anfechtung hat das zur Folge, dass der Vertrag nach § 142 BGB als von Anfang an nichtig anzusehen ist. Folgeansprüche können sich daher aus §§ 812 ff. BGB ergeben; dem geschädigten Vermieter steht zusätzlich regelmäßig auch ein Schadenersatzanspruch nach § 823 BGB zu.